Mit meinen kalten Fingern öffnete ich den Reisverschluss vom Zelt und streckte den Kopf in die kalte Morgenluft. Die umliegenden Bergen schimmerten in einem sanften blauen Licht, das den bevorstehenden Sonnenaufgang ankündigte. Es war 4:15 Uhr, die vergangene Nacht fühlte sich endlos an. Ich zitterte im Schlafsack und konnte kaum Schlaf finden. Ich griff zu meiner Daunenjacke und stolperte aus dem Zelt. Vor mir thronte die Gergeti Kirche auf dem Felsvorsprung. Der Wind war immer noch stark und ich legte mich in eine kleine Grube. Ich hörte Michelle aus dem Zelt kriechen und sie legte sich zu mir. Ihr Gesicht war von der Kälte gerötet, aber ihr Lächeln zeugte von ihrer Begeisterung den Sonnenuntergang an diesen magischen Ort zu erleben. Gemeinsam legten wir uns in die Mulde und hielten uns gegenseitig warm. In unserem Rücken türmte sich der Kazbek, der bereits die ersten Sonnenstrahlen reflektierte. Der Kazbeg ist mit seinen über 5000 Meter der achthöchste Berg des gesamten Kaukasus. Ebenso verläuft über seinen Gipfel die Staatsgrenze von Georgien und Russland. Die Vertiefung schien uns nicht vor dem Wind zu schützen, also marschierten wir der Sonne entgegen. Auf einem grossen Stein setzten wir uns und warteten, bis die Sonne über der gegenüberliegenden Bergkette aufging. Es war ein magischer Augenblick und wir waren bereit, diesen Tag mit neuer Energie zu beginnen. Das Abenteuer wartete auf uns, und wir würden es gemeinsam meistern.
Georgien, 10. April 2019, 05:31 – Gergetier Dreifaltigkeitskirche am Fuss vom Kazbeg
Zurück beim Zelt als wir unser Frühstück genossen, fuhren bereits die ersten Taxis hoch. Die heilige Dreifaltigkeitskirche von Gergeti ist ein beliebtes Ziel, dass viele Tourist:innen anzieht. Für 15 Euro kann man mit einem Taxi auf den steilen Vorsprung fahren und die Aussicht in die Region Khevi geniessen. Wir hatten uns aber für eine Wanderung entschieden, bei Sonnenuntergang wagten wir uns an den Aufstieg und kämpften uns durch die Schneeresten zur Kirche. Nur so konnten wir den Luxus geniessen, die sonst sehr beliebte und von Menschen überfüllte Kirche allein zu erleben.
Vom Schreibtisch zum Weingut
«Georgien Essen» gaben wir in das Suchfeld von Google ein und uns lief sofort das Wasser im Mund zusammen. Voller Vorfreude buchten wir den Flug nach Tiflis. Und, ohne viel nachzudenken, den Rückflug von Yerewan, die Hauptstadt von Armenien. Nur um sicher zu sein, beantragten wir auch ein Visum für Aserbaidschan. Und das war auch schon alles, was wir geplant haben. Der Rest sollte sich beim Reisen selbst klären.
Es war April 2019, wir, zwei Freundinnen, gerade mal 19 Jahre alt, bereisten per Autostop den Kaukasus, mit dem Wunsch mehr «Ja» als «nein» zu sagen, uns auf Menschen einzulassen und den wahren Kaukasus kennenzulernen. Doch schon in Basel war klar, dass wir unseren Anschlussflug verpassen werden. Statt unkompliziert auf fast direktem Weg nach Tiflis zu fliegen, verbrachten wir eine Nacht in Riga und eine in St. Petersburg. Mit einem wackeligen Propellerflugzeug ging es von da nach Tiflis.
Noch am Flughafen kauften wir uns eine Sim Karte für Georgien und sofort erreichte mich eine Nachricht von Giorgi. Bei seiner Familie würden wir die ersten paar Nächte übernachten, um Tiflis zu erkunden. Er schrieb, dass sie uns nicht mehr in der Stadt aufnehmen können, weil sie zu seinem Vater aufs Land fahren, um ihm bei der Arbeit auf ihrem Weingut zu unterstützen, aber wenn wir möchten, würden sie uns mitnehmen. Und schon kurze Zeit später kurvte ein kleines, weisses Auto um den Flughafen, um uns abzuholen. Im Auto war Giorgi und sein Bruder Dima und auf der Rückbank ihre Mutter Elsa und ihre Tante Nino. Wir quetschten uns mit unseren Rucksäcken zu den Frauen auf die Rückbank. Dima, der auf der linken Seite sass, schaute zu uns nach hinten, als das Auto zu fahren beginnt. Michelle und ich erschraken, weil wir dachten, das Auto beginnt zu Rollen. Doch erst dann sahen wir, dass das Steuerrad auf der rechten Seite platziert war. Dies sei günstiger. Georgien übernehme die alten Autos von Japan, erklärte Dima lachend. Die Brüder sprachen gut Englisch und waren sehr offen, alles zu erklären. Die Tante wohnte in Griechenland und war nur kurz zu Besuch. Sie packte verschiedene griechische Süssigkeiten aus und gab sie uns zum Probieren. Die beiden Frauen waren sehr zuvorkommend und äusserst lieb. Auch wenn wir zu viert auf der Rückbank in diesem kleinen Auto kaum Platz fanden. Ich fragte die Brüder, wie lange wir jetzt fahren werden. Giorgi meinte, wenn es gut läuft, sollten wir in drei bis vier Stunden ankommen. Also hatten wir genug Zeit, die Familie kennenzulernen. Unterwegs gab es eine Pause, um in Käse und Brot zu kaufen. Der Käse war sehr salzig und recht wässrig, und zusammen mit dem frischen Fladenbrot ein Traum. Wir erreichten das Dorf Shishiani im Osten des Landes und es begann zu regnen. Die Einfahrt des Hauses war sehr matschig und die Brüder waren besorgt, dass wir über diesen Matsch laufen mussten. Wir waren eher besorgt, den Dreck ins Haus zu tragen.
Das Haus war aus Backsteinen und aus Holz gebaut. Es hatte oberhalb des Erdgeschosses ein weiterer Stock, welcher jedoch nicht fertig gebaut war. Vor dem Haus stand ein kleines WC-Häuschen mit einem kleinen dunklen Loch in der Mitte. Direkt daneben lag ein georgisches Algebra Buch. Das erste Mal als ich die Toilette benutzte und durch die verschiedenen Matheformeln blätterte, fand ich die Wahl der Toilettenlektüre recht spannend. Und konnte mir nicht vorstellen, dass jemand am Boden kauernd dieses Buch studieren möchte. Ja, ich gebe zu, ich verstand erst beim dritten oder vierten Besuch, weshalb verschiedene Seiten fehlten. Natürlich war es keine Lektüre, sondern das WC-Papier.
Wir nahmen am Esstisch in der Küche Platz und es gab kalten Fisch, Kartoffeln und Salat. Michelle und ich essen normalerweise vegetarisch, weil wir den Geschmack von Fisch und Fleisch nicht mögen. Also griffen wir zu den Kartoffeln und zum Salat, doch die Familie bestand darauf, dass wir als Gäste den Fisch allein essen sollten. Dazu gab es viel georgischen Wein aus dem eigenen Weingut. Statt ihn in kleinen regelmässigen Schlucken zu trinken, sprach der Tischälteste einen Toast aus und man leerte gemeinsam das gesamte Glas. Und das passierte in regelmässigen Abständen. Mein Magen meldete schon früh, dass er mit dem Fisch und dem Alkohol nicht lange durchmachen kann.
Am nächsten Morgen, mir war es immer noch schwindelig und etwas schlecht, gingen wir mit der Familie in das Dorf, um am Gottesdienst teilzunehmen. Allerdings waren wir in unseren langen Hosen und T-Shirts nicht angemessen gekleidet. Elsa reichte uns verschiedene Tücher und half uns, sie um uns zu wickeln. Es fühlte sich an, als würden wir uns verkleiden wie früher als Kind, und ich empfand es fast respektloser, auf diese Weise in eine Kirche zu treten. In der Kirche gab es einen Chor und einen Priester, die hinter den Vorhängen gebetet und gesungen haben. Danach ging es direkt aufs Weingut der Familie. Es war etwas ausserhalb des Dorfes und man hatte einen direkten Blick auf eine imposante weisse Bergkette. Mit eingeweichten Maisblätter banden wir die Äste der Rebstöcke an Drähte. Es war ein langwieriger Prozess, doch konnten wir es kaum glauben, dass nur wenige Tage zuvor, wir in unseren Bürojobs einer Deadline nacheiferten und jetzt, inmitten Georgiens, auf einem Weingut mit wunderschöner Aussicht arbeiten. Alles fühlte sich richtig an und wir wussten, dass dieser Monat, der vor uns liegt, unvergesslich wird.
Am Mittag gab es Resten vom kalten Fisch und dazu noch kaltes Hühnchen ohne Gewürze. Wieder griff ich lieber zum Fladenbrot und zum salzigen Käse. Dazu gab es Wein und Tschatscha. Ein starker Schnaps, der bei der Weinherstellung entsteht. Ich sehnte mich nach einem Tropfen Wasser. Insbesondere da die Temperatur auf dem Feld recht anstieg. Auch am Abend gab es wieder denselben Fisch. Diesmal hatte man Fischeier in seinem Körper gefunden und dies wurde gefeiert mit viel Weisswein. Wir sprachen viele verschiedene Sprachen am Tisch. Mit dem Vater sprach ich russisch, mit Elsa und Nino deutsch und mit Giorgi und Dima englisch. Zum Dessert offerierten wir der Familie eine Toblerone, aber glaubten, es hat ihnen nicht so geschmeckt. Und kurz danach waren wir wieder Startklar und fuhren zurück nach Tiflis.
Zwischen Orient und Okzident
Auch da durften wir eine weitere Nacht bei der Familie verbringen. Diesmal hatten wir nicht ein eigenes Zimmer, sondern teilten es mit den Brüdern und während alle am Arbeiten waren, erkundeten wir die Stadt. Wir wanderten auf den Mtatsminda, der bekannt für seine markante Antennenstruktur ist, die auf seinem Gipfel thront. Die Antenne ist ein auffälliges Wahrzeichen der Stadt und dient als Fernsehturm und Sendeanlage. Man hörte den Wind durch die Gestänge summen, was die Atmosphäre sehr besonders machte. Wir fanden ein Restaurant, dass georgische Küche anbietet. Das Essen war so günstig und klang so lecker, dass wir gleich fünf Maisbrote, sechs Gemüsespiesse und einen grossen Käsekuchen bestellten. Daraufhin hat die Bedienung uns geraten, weniger zu bestellen. Dann ging es wieder hinunter und gleich auf den Kartlis Deda, also der andere Hügel mit der Frauenstatue von der Mutter Georgiens. In der einen Hand hielt sie ein Schwert zu Schutz Georgiens und in der anderen eine Schale mit Wein, stellvertretend für die Gastfreundschaft. In Georgien erzählte man sich folgende Sage:
«Als Gott den Menschen ihre Länder zuteilte, war die Bevölkerung Georgiens am Wein trinken und verpasste den Event. Also suchten sie Gott verspätet auf und er meinte, er habe bereits die gesamte Fläche der Welt verteilt. Es gibt nur noch einen kleinen Fleck, aber der habe er für sich selbst reserviert. Und so kamen die Menschen von Georgien zum schönsten Gebiet der Welt.»
Am Tag danach setzte uns Dima auf einer befahrenen Strasse aus. Von hier solle es ein Kinderspiel sein, mit Autostop weiterzureisen. Und ja, kaum war er weg, bremste eine älterer Mann, der tatsächlich in die gleiche Richtung musste wie wir. Die Kommunikation war schwierig, aber in Ananuri gab er uns zu verstehen, dass wir hier die Aussicht geniessen sollen. Wir standen neben einer grossen Burg oberhalb eines Stausees.
Nach dieser kleinen Pause fuhr er weiter bis nach Gudauri. Ein Skigebiet hoch in den Bergen. Bald hatten wir unser Ziel erreicht, wir suchten nur noch nach einer Möglichkeit via Georgian Military Highway über die Bergkette zu gelangen. Doch zuerst gönnten wir uns eine Pause und genossen unser Essen mit einer wunderschönen Aussicht auf eine Bergkette. Gudauri ist übrigens auch der Skiort, in dem im März 2018 der Skilift in doppelter Geschwindigkeit plötzlich rückwärts lief und Passagiere aus dem Lift warf.
Kurz bevor wir uns wieder auf die Strasse stellten, gingen wir in einem kleinen Tankstellenshop auf die Toilette. Die Frau, die hinter uns stand, sprach plötzlich mit uns auf Deutsch. Es stellte sich heraus, dass sie Teil einer Aldi Reisegruppe sei. Sofort bat sie den Organisator, uns über die Bergen mitzunehmen. Wir seien die ersten Autostopper, die sie auf dieser Reise mitnehmen. In Stepandsminda verabschiedeten wir uns und kauften viel Proviant ein, bevor wir den Aufstieg zur Gergeti Kirche wagen. Unsere Rucksäcke waren schwer und der Weg unbestimmt. Nach 2 Stunden kamen wir auf dem Plateau an und bauten unser Zelt auf. Das war die einzige Nacht im Zelt, doch waren wir froh, eines dabei zu haben. Auch nur für den Notfall, falls wir mal keinen Platz zum Schlafen gefunden hätten.
Für den Rückweg fanden wir den Wanderweg, der uns entlang eines Baches zurück ins Tal führte. Da unsere letzte Dusche schon lange her ist, versuchten wir uns, im kalten Bergbach zu waschen. Gut gelaunt und mehrheitlich sauber standen wir kurz danach wieder an der Strasse und schon hält ein türkischer Lastwagenfahrer. Er war sehr freundlich und stellte uns gleich im Videocall seiner Familie vor. Es fährt die Strecke Moskau bis nach Istanbul. Wir konnten uns diese Strecke fast nicht vorstellen. Insbesondere weil der Lastwagen sehr langsam fuhr. Über die Berge zurück brauchten wir fast viermal so lange wie auf dem Hinweg.
«I like doing Meth.»
In Gudauri liessen wir uns wieder absetzen und wünschten ihm eine gute Reise. Vor dem Tankstellenshop wollte uns ein aufdringlicher junger Mann mit einem abgedunkelten Minivan weiternehmen. Da lehnten wir aber dankend ab und wurden kurz danach von einer Engländerin in ihr Taxi gebeten. Sie habe einen kaputten Finger und sei krankgeschrieben, deswegen reiste sie nun heimlich im Kaukasus umher. Sie hatte den Taxifahrer gleich für ihre komplette Reise gebucht und düste so durch das Land. In Ananuri stiegen wir aus und wünschten ihr eine gute Weiterreise. Mit zwei weiteren Autos kommen wir nach Mtskheta. Eine Stadt etwas ausserhalb von Tiflis. Bei einer Busstation gönnten wir uns eine Pause und diskutierten, wo wir schlafen möchten. Ein älterer Mann kam auf uns zu und wollte uns ein Taxi anbieten. Wir antworteten, dass wir ein Hotel suchen. Weitere Männer kamen dazu, einer wählt bei seinem Smartphone eine Nummer und gab es mir in die Hand. Eine Stimme am Telefon sagte: «Wait 5 Minutes». Plötzlich fuhr ein altes weisses Auto zu uns mit einem älteren Mann, der uns in das Auto bittet und er führte uns zu seinem Hotel. Es war eher ein Haus, welches frisch umgebaut ist und der obere Stock vermietet wird. Er sprach kein Englisch, aber sein Enkel Temo ein bisschen. Er war noch etwas jünger als wir, doch gab sich sehr Mühe alles zu übersetzen und uns zu unterstützen. Er verstand nur die Hälfte und dichtete den Rest selbst dazu. Zum Beispiel, als wir ihn fragten, wohin man Essen gehen könnte, meinte er, er sei in einer halben Stunde parat, dann können wir zusammen gehen. Michelle und ich, wir hatten keine Pläne, also stimmten wir zu und sein Grossvater brachte uns zu einem Restaurant etwas ausserhalb. Temo wirkte unglaublich nervös und konnte kaum normal sprechen. Er rutschte auf seiner Bank auf und ab und immer wenn etwas länger dauerte als wenige Minuten, begann er fast zu zittern. Zum Beispiel hatten wir uns Chinkali, also georgische Teigtaschen bestellt, und kaum hatten wir die Erste gegessen, meinte er, wir können es auch einpacken und später essen. Nach gefühlt 15 Minuten waren wir wieder draussen und warteten auf den Grossvater, der wohl erst mit dem Auto wieder zu Hause war. Temo, der unglaublich nervös den Strassenrand auf und ab ging und immer «Where is he?» rufte, trug eine Jacke, auf der stand «i make jokes when i’m uncomfortable». Und es passte unheimlich gut. Um die Situation etwas zu entspannen, fragte ich ihn, was er in seiner Freizeit mache. Er antwortete: «i like doing Meth.» Wir waren etwas erstaunt und wussten nicht was antworten, bis er anfügte, er liebe Nummern.
Ab in den Süden
Von Mtshketa wollten wir in den Süden des Landes gelangen. Dort gibt es eine Steppe und wir wollten versuchen, diese zu überqueren. Wir marschierten also richtung Hauptstrasse und beim ersten Auto hielt ich meinen Daumen raus und schon wurden wir eingeladen. Der Mann war etwa dreissig und fuhr einen schön geputzten Benz. Er fuhr aber nur bis Tiflis, also brachte er uns zum Marschrutka Parkplatz und half uns den passenden Bus zu finden. Marschrutkas sind kleine Linienbuse, die vorallem im Osten bekannt sind. Es gibt keinen Fahrplan und nur eine grobe Strecke. Die Menschen sprachen direkt mit dem Fahrer und erklärten, wann und wo sie raus möchten. Wir hingegen hatten keine Ahnung, wo wir sind, also hatten wir auch keine Ahnung, wo wir hinwollten. Plötzlich drehte sich der Busfahrer zu uns um und schaute uns fragend an, wir waren tatsächlich die Letzten im Bus. Also verabschiedeten wir uns an einer Strassenkreuzung und begannen am Strassenrand Richtung Süden zu laufen. Dort sollte eine Ortschaft sein, in der wir was Essen können. Schon wieder bremste ein Auto und ein junger Mann in einem alten BMW versprach, uns in die Ortsmitte zu führen. Bei einem grossen Platz liess er uns wieder raus und wir marschierten direkt zu einer Shisha Bar, um was zu essen. Erst später haben wir erfahren, dass es Bars und Restaurant gibt, wo Frauen nicht erwünscht sind, so dass Männer ungestört unter sich sein können. Zum Glück wussten wir das nicht und waren froh ein Restaurant zu finden. Am Tisch neben uns war eine Gruppe lauter Männer. In der Schweiz hätte ich wohl einen Bogen um sie gemacht, weil sie unfreundlich wirkten. Wir verbrachten die Zeit in unser Tagebuch zu schreiben und das Essen zu geniessen. Neben uns hatte sich ein iranisches Paar gesetzt und wir kamen ins Gespräch und ich erzählte ihnen von meiner Iran Reise. Sie wollten uns gleich zum Essen einladen, aber wir waren bereits fertig. Wir schenkten ihnen etwas Schokolade und den Männern am Nebentisch gleich mit. Die Männertruppe war begeistert von unserer Reise und überhäuften uns mit Pralinen und Baklava. Der Inhaber der Bar war auch dabei und bezahlte im Hintergrund unsere komplette Rechnung. Wir fragten sie, wie wir am besten nach Gardabani kommen. Einer sprintete gleich los und stoppte ein Taxi und zahlte es sogar. Mit einem Selfie und seiner Nummer für den Notfall im Gepäck reisten wir mit einem alten Taxifahrer weiter in den Süden.
Irrfahrt in Jandari
Irgendwo in einer Steppe in der Nähe der Grenze Aserbaidschan soll das Kloster Davit Garedscha sein und da wollten wir hin. Nur war das Problem, dass niemand über diese Steppe fuhr. Es gab von der anderen Seite eine bessere Strasse, aber nicht von dieser. In Gardabani fragten wir paar Jugendliche und sie waren überzeugt, dass es schwierig sein könnte. Wir sollten versuchen nach Udabno zu gelangen. Wenn wir Glück haben, fährt jemand quer über die Steppe, dann könnten wir von der anderen Seite zum Kloster gelangen.
Also suchten wir nach einer Mitfahrgelegenheit nach Udabno. Ein Mann in kompletter Militäruniform bremste und nahm uns für knappe 3 Minuten mit, bis er meinte, er müsste jetzt in eine andere Richtung fahren, also stoppte er uns ein anderes Auto und erklärte denen, wo wir hinmöchten.
Wir dachten, alles sei geklärt und stiegen zum älteren Ehepaar ins Auto. Und von da begann eine endlose Irrfahrt. Denn die nächsten zwei Stunden verbringen wir mit planlosen Rundfahrten im Dorf. Zuerst zu einem Haus, da stieg die Frau aus und ging ins Haus, wir fuhren weiter und luden einen weiteren Mann auf. Dann fuhren wir zu seinem Haus und alle stiegen aus. Es gab Essen auf seiner Terrasse. Dann nahmen wir seinen Sohn mit und fuhren zurück zum ersten Haus. Da wartete die ältere Frau, die sich anscheinend umgezogen hatte. Wir fuhren weiter zu einem anderen Haus, bei dem der Sohn wieder ausstieg. Dann fuhren wir zu einem Geldautomaten, aber niemand stieg aus und dann weiter zu einer Tankstelle. Der alte Mann drehte sich zu uns um und meinte, der Tank sei leer und das Auto würde uns nicht mehr über die Steppe führen können. Es sei denn, wir geben ihm Geld für den Tank. Michelle zeigte ihm unser leeres Portemonnaie und wir fuhren zurück zum Mann, bei dem wir bereits auf der Terrasse waren. Dort wurden uns Äpfel geschenkt und wir dürfen die Toilette im Garten benutzen. Dann fuhr der ältere Mann uns zu einer Bushaltestelle. Wir stiegen aus und warteten bis der Sohn mit einem Kumpel in einem Benz kam. Sofort packte man unsere Rücksäcke in den kleinen Kofferraum und wir beide stiegen zu den Jungs ins Auto. Wir hatten die Hoffnung bereits aufgegeben, die Steppe heute noch überqueren zu können. Der Fahrer drehte sich zu uns um und fragte, ob wir Marihuana möchten, wir verneinten. Er fragte, ob wir Alkohol möchten und wir verneinten erneut. Ruckartig drehten sie das Auto um und fuhren zu einer Art Ruine. Bei einer Fensteröffnung riefen sie was hinein und eine ältere Frau gab ihnen Tschatscha und Bierflaschen hinaus. Die Ruine schien ein Kiosk zu sein.
Danach fuhren wir zu einem anderen Haus und dort kauften sie etwas Gras. Dann schien alles erledigt zu sein, von der Strasse nahmen wir einen kleinen, steilen Feldweg und der Benz war für diesen Untergrund eher ungeeignet. Bei einem Militärposten stiegen wir aus und schauten uns die Landschaft an. Die Luft war staubig und man sah viele Schornsteine von einer gesäumten Industrielandschaft Mitten im Nichts. Diesen Hügel fahren wir wieder runter, doch statt zurück ins Dorf, fuhren wir auf direktem Weg in die Steppe. Sie erklärten uns, dass die Steppe in der Nacht gefährlich sein kann. Und falls wir mal über Nacht irgendwo in der Steppe seien, sollten wir unbedingt ein Feuer machen, dies halte die Schakalen fern. Immer weiter fuhren wir in die unendliche steinige Landschaft und kreuzen manchmal verschiedene Hirte mit ihren Schafen.
Michelle und ich fragten uns, in welche Situation wir hier geraten sind. Was war die wahre Absicht, dieser zwei Typen und was war ihre Motivation uns zwei über die Steppe zu fahren, wenn sie anscheinend nicht auf die andere Seite müssen? Die Sonne ging bald unter und alles färbte sich golden. Der Fahrer fuhr seinen Benz neben die Strasse und bremste. Die Jungs packten Tschatscha, Bier, Cola und Goldfischli aus und drehten sich einen Joint. Mit Google Translate stellten sie sich vor, sie hiessen Kofke und Giorgi. Wir machen ein paar Fotos zusammen und versuchten ein Gespräch aufrecht zu erhalten durch unser Smartphone. Der erste Joint haben die zwei schnell geraucht, auch die ersten Gläser Tschatscha waren schnell vernichtet. Michelle und ich merkten, falls wir irgendwie ohne Unfall aus der Steppe möchten, müssen wir die Situation besser kontrollieren. Wir übernehmen den zweiten Joint und halten ihn vor allem in der Hand. Die Reise ging kurz danach weiter, Giorgi baute sich aber noch einen weiteren Joint für auf den Weg. Auch den nahmen wir in die hintere Reihe, denn unser Fahrer war schon recht zugedröhnt und konnte die Spur kaum halten. Mit Google Translate fragten sie uns, was sie noch für uns machen können. Wir versicherten, dass wir wunschlos glücklich sind und fragten zurück, wie wir uns bedanken können. Kofke schrieb und Google übersetze: «Eine starke Umarmung». Sie fuhren uns direkt vor das Oasis Club Hostel. Ja, das ist ein Hostel in Udabno, einer kleinen Ortschaft mitten in der Steppe im Süden Georgiens. Die restlichen Goldfische gaben sie uns mit und wir bedankten uns, wie abgemacht mit einer Umarmung und schauten ihnen zu, wie sie kurvig über die Steppe zurückfuhren und hofften, dass sie unversehrt ankommen werden.
Ruhe in der Weite
Im Hostel bezogen wir ein kleines Zimmer und verbrachten den Abend im Gemeinschaftsraum mit paar Deutschen. Es war ein anstrengender Tag und die Nacht tat mir sehr gut. Den Morgen verbrachten wir spielend mit kleinen Katzen und Hunden vor dem Hostel. Unser Ziel war das Kloster zu erreichen. Wir versuchten unser Glück an der Strasse und als über eine halbe Stunde lang kein einziges Auto vorbei kam, begannen wir zu laufen. Nach gut einer Stunde merkten wir, dass der Weg zum Kloster und zurück unmöglich an einem Tag gewandert werden kann und schon bald bremste hinter uns ein Taxi. Alle im Auto waren etwas misstrauisch, ob sie uns mitnehmen möchten. Bis wir herausfanden, dass das Paar im Auto aus Österreich kam. Wir hatten ein gemütliches Gespräch als plötzlich der Taxifahrer eine Vollbremsung machte und kreischend aus dem Auto sprang. Er hatte das Gefühl eine Spinne gesehen zu haben und anscheinend gab es in dieser Region giftige. Wir waren alle etwas verängstigt und waren froh, als wir beim Kloster ankamen. Und es war recht enttäuschend. Klar, es ist eindrücklich in den Felsen gemeisselt, aber viel mehr sieht man nicht. Dass es Menschen gibt, die den ganzen Weg von Tiflis auf sich nehmen für diese 3 Minuten Attraktion, konnten wir nicht verstehen. Überall waren No Entry Schilder und man konnte eigentlich kaum mehr sehen als der Parkplatz. Wir entschieden uns, einfach etwas in der Natur herum zu wandern. Einmal endete unsere Tour mit einem weiteren No Entry Schild und beim zweiten Versuch endete sie mit dem Satz: «Hoi zäme, weiter chli TuttiFrutti?». Eine Schweizerin, die in Tiflis arbeitete, hatte unseren Dialekt von weitem gehört und bot an, ihr Mittagessen zu teilen.
Mit einem anderen Taxi dürfen wir wieder bis nach Udabno mitfahren. Unser Ausflug war viel zeitintensiver als geplant. Erst um 15 Uhr sind wir zurück beim Hostel und wollten eigentlich am gleichen Tag weiter nach Aserbaidschan. Wir stärkten uns mit einer selbst gemachten Katchapuri, also ein Brot mit einem Ei in der Mitte und verliessen mit gemischten Gefühlen das Hostel und versuchten erneut, die Steppe zu überqueren. Wieder warteten wir beim Dorfausgang von Udabno, am Start der Steppe. Ein weisser Jeep fuhr vorbei und bremste etwa hundert Meter nach uns. Die Jungs im Auto meinten, sie hätten keinen Platz für uns, aber ob sie was für uns machen können. Nach einer Weile finden wir heraus, dass sie aus Österreich sind und schon konnten wir uns irgendwie auf die Rückbank quetschen. Die Reise durch die Steppe war sehr witzig und sie liessen uns bei einer Kreuzung raus. Eine Strasse ging zum Kloster, eine zurück nach Udabno und eine nach Gardabani. Wir verabschiedeten uns und sie versicherten uns, wenn wir nach ihrem Klosterbesuch immernoch hier sein werden, nehmen sie uns mit nach Tiflis. Diese Absicherung fühlte sich gut an, immerhin waren wir in der Mitte im Nirgendwo auf einer steinigen Strasse und versuchten mit Autostop weiterzukommen. In der Ferne sah man bereits die Grenze zu Aserbaidschan. In kleinen Abständen stand ein Soldat mit einer Waffe bereit. Wir müssen unbedingt über eine offizielle Grenze, haben uns viele besorgt mitgeteilt. Oft wird einfach geschossen, wenn man sich der Grenze nähert, ohne vorher Absicht und Visa zu überprüfen.
Aserbaidschan
Und tatsächlich, bereits 10 Minuten später wurden wir wieder mitgenommen. Diesmal von einem sehr gesprächigen Taxifahrer aus Kutaissi. Eine Stadt im Westen des Landes, von der fast alle Taxifahrer stammten. Zurück in Rustavi verplemperten wir alle restlichen georgische Laris in einer Bäckerei für Safranbrot und genossen einen ausgiebigen Mittagsbrunch. Mit einem Taxi gehts weiter, direkt zum offiziellen Grenzübergang Aserbaidschans. Wir passierten den Grenzposten von Georgien und wanderten zum Grenzposten Aserbaidschans, welcher ziemlich weit weg war. Die Einreise war kompliziert, weil die Grenzbeamten nicht herausfinden konnten, von welchem Land wir stammten. Ich sagte immer «швейцария», was auf Russisch «Schweiz» bedeutet. Daraus schlossen sie, dass wir aus Russland kamen. Auch als sie unser Visum von Russland und von Weissrussland in Pass bemerkten und allein die kyrillische Schrift sahen, waren sie überzeugt, wir seien aus Russland. Trotz allem verloren sie rasch an Geduld und liessen uns durch. Kaum aus dem Grenzgebäude raus, wurden wir von aserbaidschanischen Verkäufern und Geldwechsler umringt. Einer streckte uns eine Visitenkarte in die Hand, welche wir unbeachtet in die Jackentasche steckten, und später genau zum richtigen Zeitpunkt wieder fanden. Wir konnten uns bereits aus dem Tumult befreien, als zwei Grenzpolizisten auf uns zukommen. Sie wollten wissen, ob wir ein Hotel reserviert haben. Wir wurden gleich etwas nervös, denn wir hatten tatsächlich eines reservieren müssen, weil man uns sonst kein Visum erteilt hätte, doch nach dem positiven Visaentscheid haben wir es gleich wieder storniert. Es war also abends, die Sonne war schon bald weg und wir hatten keine Ahnung wohin wir gehen sollten.
Die Beamten bemerkten unsere zögerliche Antwort und erklärten, dass sie jetzt Feierabend haben und mit einem Auto nach Qazax fahren werden. Für zwei Personen hätten sie noch Platz. Wir nahmen das dankend an und schon wenige Minuten später sassen wir neben den Beamten, die uns vorher kontrolliert haben und fahren Richtung Stadt. Sie waren sehr interessiert und wollten alles über unsere Reise wissen. Dass wir gegen Schluss nach Armenien reisen werden, verschwiegen wir der flüchtigen Beziehung zuliebe. Zu angespannt war die Situation beider Länder.
Unterwegs suchte die Frau neben mir ein passendes Hotel für uns, bis Elvin, der Fahrer meinte, er rufe rasch seine Frau an, sie solle für zwei Personen mehr kochen. Nachdem alle ausgestiegen waren, landeten wir im Haus von Elvin und seiner Frau Saide und ihrer beiden Kinder in Chayly, etwas ausserhalb von Qazax. Doch Elvin musste noch weitere Dinge erledigen und düste gleich wieder davon. Saide, die nur türkisch sprach, gab ihr Bestes, die unerwarteten Gäste zu bewirten. Denn kaum waren wir im Haus wurde uns Tee, Fladenbrot, Rührei, Pasta, Koriandersalat, Gurkensalat, Limonade aus Quitten und ein Joghurtähnliches Getränk mit vielen Kräutern (vergleichbar mit französischer Salatsauce) aufgestellt. In der Zwischenzeit räumten die Kinder unsere Rucksäcke aus. Plötzlich sah ich, dass die Kleine mit meiner Kamera durch das Wohnzimmer sprang. Auch wenn die Schnappschüsse lustig sind, war ich froh, die Kamera heil zurückzukriegen. Saide dagegen war unermüdlich, sie wirbelte durch die Wohnung und räumte unsere Rucksäcke wieder ein, kochte weitere Gerichte, putzte den Boden, bereite unser Bett vor und kümmerte sich um ein Feuer, um darauf Wasser zu kochen.
Plötzlich sprang die Türe auf und Asmaia, die Mutter von Elvin, trat ein und rief «Willkommen Mädchen». Sie war Deutschlehrerin im Dorf und als sie von Elvin hörte, dass er zwei deutschsprachige Frauen beherbergte, rannte sie zur Stelle. Ihr Mann Rayaz folgte ihr. Ein stämmiger Mann mit dickem Bauch, lauter Stimme und mehreren Goldzähnen. Und irgendwie genauso, wie wir uns einen Aserbaidschanischen Grossvater vorstellten.
Asmaia war eine kleine, rundliche Frau und strahlte über das gesamte Gesicht. Ihr Deutsch war sehr schwierig zu verstehen, doch sie bemühte sich, uns vieles über ihre Kultur zu erklären. Um acht Uhr bereitete sie sich vor, zu beten und bat uns an, neben ihr Platz zu nehmen und zuzuschauen und erklärte die Bedeutungen ihrer Bewegungen und Gebete.
Elvin kam zurück mit einem weiteren Mann. Afghan sei ein guter Freund und wir sollen uns parat machen, mit ihnen in die Stadt zu gehen. Es war bereits Nachts und auf der Strasse sah man keine Frauen mehr. Diese seien um diese Zeit zu Hause, erklärten sie uns. Afghan wohnte eigentlich in Ganja, verbrachte aber die meiste Zeit in Qazax, weil er für Azercell, ein Mobilfunkanbieter, arbeitete. Zusammen spazierten wir durch die dunklen Strassen und sie erklärten uns vieles über ihre Kultur und über den Staatsoberhaupt Əliyev. Am Schluss schlugen wir den Weg zu einer Bar ein. Doch bevor wir in das Lokal treten konnte, rannte ein Mitarbeiter raus und begleitete uns in eine separate Kammer, ohne dass uns jemand sehen konnte. Das Zimmer war durch das Holz an den Wänden sehr dunkel. In der Mitte stand ein einsamer, grosser Tisch und links von der Tür war ein kleines Fenster, das mit einer Folie zugeklebt wurde. Niemand sah raus, aber wichtiger war, dass niemand rein sehen konnte. Denn Frauen dürfen in der Öffentlichkeit weder rauchen noch trinken. In Aserbaidschan dürfen wir noch einige solche abgeschotteten Zimmer und Räume erleben und es fühlte sich immer absurd an, denn wir wussten genau, das war unser Touristenprivileg, welches Frauen vor Ort nicht geniessen können.
Am nächsten Morgen wurden wir von den Kindern geweckt. Ständig rannten sie in unser Zimmer, gefolgt von ihrer Mutter Saide, die sie mit entschuldigenden Blicken wieder rausbrachte. Elvin war bei der Arbeit und wir verbrachten den Tag im Garten der Familie. Zusammen mit den Kindern hängten wir eine Aserbaidschan Flagge auf und die Mutter erklärte uns mit Google Translate die Bedeutung der Farben. Blau steht für die Zugehörigkeit zu den Turkvölkern, Rot für die Entwicklung der aserbaidschanischen Kultur, Grün für die Zugehörigkeit des Islams und der Mond mit Stern verbindet die Türkei und der Islam mit Aserbaidschan. Der Stern habe aber mehr Zacken als der türkische. Er sei ein Symbol für die acht perso-arabischen Buchstaben, mit denen der Name Aserbaidschan geschrieben wurde.
Asmaia, die Grossmutter, war bemüht, mit einer Samovar aserbaidschanischen Tee zu kochen. Und dieser Prozess dauerte fast den ganzen Tag, bis der Tee fertig war.
Sightseeing in der Sperrzone
Afghan kam wieder zu Besuch und bat an, zusammen eine Sightseeing Tour zu unternehmen. Und falls wir möchten, können wir ihn nach Ganja begleiten und bei seiner Familie übernachten. Dieses Angebot nehmen wir dankend und verabschiedeten uns von Saine. Unterwegs besuchen wir Elvin, um uns von ihm zu verabschieden und vor einer Əliyev Statue ein Gruppenfoto zu machen.
Der erste Stop war ein steiler Berg, den Göyəzən dağı, der in der hügeligen Landschaft sehr unpassend aussah. Eine solche Formation gab es nur zweimal auf der Welt, hier und irgendwo in Indonesien, erklärte Afghan. Das Problem war nur, dass dieser Fels neuerdings zu einer Militärzone gehörte, weil er sehr nahe an der Grenze zu Armenien stand. Man konnte das Gebiet nur passieren, wenn man vorher den Reisepass abgab. Zum Glück bekamen wir ihn ohne Problem beim Verlassen wieder. Afghan erzählte, dass mal eine Gruppe Männer hochkletterte, um sich zu betrinken und nicht mehr runterkamen. Die Feuerwehr musste sie retten.
Danach fuhren wir nach Göyəzən, ein Restaurant auf einem Hügel mit unglaublicher Aussicht auf das Aghstafachay Wasser Reservoir. Auch in diesem Restaurant durften wir nicht zu den männlichen Gästen sitzen, sondern erhielten ein eigenes, offenes Haus ganz oben am Hügel mit exklusiver Aussicht und einem einsamen Tisch. Afghan erklärte so neutral wie möglich, den langjährigen Konflikt von Armenien und Aserbaidschan, welche von Russland, Iran und Türkei unterschiedlich unterstützt werden. Es klang nach langjähriger Proganda auf beiden Seiten der Grenze. Dieses Reservoir befindet sich unmittelbar an der Grenze und die Aserbaidschaner haben Angst, dass die Mauer gesprengt werden und somit die gesamte Stadt Qazax fluten könnte. Deswegen hatten sie begonnen, den Wasserspiegel zu senken, so dass eine Sprengung weniger verheerende Folgen mit sich bringen würde. Nachdem wir verschiedene aserbaidschanische Desserts gekostet haben, fuhren wir runter an den See und da sah man die Spuren vom Krieg deutlich. Denn, damals vor vier Jahren, ereignete sich der Krieg auf dieser Fläche. Vieles war immer noch kaputt und zerbombt. Neben uns lag ein ausgebranntes Auto auf dem Kopf, welches langsam zu rosten begann.
Von da ging es weiter nach Ganja. Unterwegs luden wir seine Mutter, die mit vielen Einmachgläser in einem Haus an der Strasse auf uns wartete. Wir durften ihre Toiletten benutzen. Die Toiletten in Aserbaidschan waren sehr interessant. Häufig war es ein grosser Raum, in dem man Feuer entfachen kann, um das Duschwasser zu erwärmen. Bei der Familie von Elvin gab es auch keine Türe, nur ein transparentes Plastik, welches die Kinder nicht daran hinderte, kichernd uns auf der Schüssel zu besuchen. Auch das WC Papier, wurde von uns liebevoll Toilettenschleifpapier genannt.
Danach ging es auf dem direkten Weg nach Ganja. Ein junger Mann öffnete ein Metalltor und Afghan fuhr in den Innenhof. Er erklärte, dass hier seine Eltern, seinen Bruder mit seiner Frau und seinen Kindern wohnte. Die Eltern seien auf der linken Seite und der Bruder auf der Rechten. Doch die Häuser wirkten sehr klein und man konnte fast nicht vorstellen, dass da sechs Personen lebten. Wir gingen zum Elternhaus und sofort deckten die Frauen den Tisch. Diese geschlechtergetrennte Aufgabenverteilung fiel uns in Aserbaidschan häufig auf. Wir waren mit den Männern zusammen am Tisch, die Frauen, die alles gekocht und zubereitet haben, assen später in der Küche die Resten. Auch wenn einer der Männer was brauchte, standen sie nicht auf, um es zu holen, sondern riefen den Frauen in die Küche. Selbst wenn das gesuchte Objekt in gemütlicher Reichweite des Mannes war. Wir fanden das immer etwas schade, gerne hätten wir mehr von der Welt der Frauen erfahren.
Als wir alle gesättigt die Wohnung der Eltern verliessen, stiegen wir wieder ins Auto und Afghan manövrierte aus dem Innenhof. Nur etwa 100 Meter die Strasse runter, bog er in seine Garage ab. Wir standen vor einem grossen Haus und sobald man die erste Tür passierte, blickten wir auf eine grosse, mit Säulen verzierte Terrasse mit Blick auf einen Garten. Alles war Blau gestrichen und gelbe Vorhänge tanzten im Wind. Auf der linken Seite gab es eine grosse Holztüre und Afghan bittete uns, davor zu warten. Er brachte uns weissen Samtpantoffeln und führte uns durch verschiedene Zimmer, welche wir für die Nacht beziehen können. Er meinte, seine Wohnung sei im anderen Teil des Hauses und wir können von verschiedenen Schlafzimmern auswählen. Wir versicherten ihm, dass wir ohne Probleme im selben Doppelbett übernachten können und waren, immer noch fasziniert vom Wohnzimmer, dass zu unserem Schlafzimmer gehörte. Es sah aus, wie in einem alten, französischen Schloss. Alles war in Babyblau und Rosa gestrichen und überall fand man goldenen Stuck. Auch die Toilette war sonderbar. Der WC-Ring war nicht hart, sondern sehr weich aus Schaumstoff, vergleichbar mit der Oberfläche eines öffentlichen Wickeltisches. Die Decke des Badezimmers war mit einem Spiegelmosaik ausgelegt und man konnte sich tatsächlich in unterschiedlichen Winkeln auf der Toilette sehen. Ebenfalls gab es eine Badewanne. In allen Haushalten, die wir bereits im Kaukasus besuchten, war das Wasser eher knapp. Den Luxus einer Badewanne, konnte sich niemand leisten.
Wir verstanden nichts. Wieso hatte ein Sohn, eine komplette Villa, die 6 Tage in der Woche leer steht, während die Familie, nur 100 Meter davon weg wohnte und sich zwei Wohnungen teilen, die kleiner waren als sein Wohnzimmer, dass er nicht nutzte.
Zum Frühstück gingen wir wieder zu den Eltern. Es gab Fladenbrot mit Konfitüre, die in einem hohen, verschnörkelten Weinglas serviert wurde. Dazu gab es Dolma, Weinblätter gefüllt mit Reis und Joghurt, eine Spezialität aus Aserbaidschan. Danach fuhren wir mit Afghan und seinem Chevrolet durch Ganja. Zuerst besuchten wir eine orthodoxe Messe in einer Kirche, danach ein Kunsthaus, dass aus Glasflaschen gebaut wurde und zum Schluss eine grosse Moschee. Afghan erwies sich als vornehmer Gastgeber. Er öffnete uns die Türen, plante regelmässig Toiletten Pausen ein und nahm sich alle Mühe, wichtige Details von seinem Land zu erklären. Auch wenn er eigentlich arbeiten müsste und ständig telefonierte. Er brachte uns zum Busbahnhof von Ganja und half uns, Geld zu wechseln. Und wir wurden prompt um etwas Geld betrogen. Zum Glück hatten wir den Fehler bemerkt und Afghan kümmerte sich um alles. Er brachte zwei Bus Tickets nach Baku zurück. Wir verabschiedeten uns und fuhren mit einem stark klimatisierten Bus in den Sonnenuntergang. Spät am Abend erreichten wir den Busbahnhof der Hauptstadt und platzierten uns in einem Dönerladen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Der Döner inklusive Getränk kostete 1.70 Manat, also umgerechnet 90 Rappen. Da fand Michelle auch die Visitenkarte, die man uns an der Grenze zugesteckt hat. Es war vom Kaha Hostel Baku und diese Visitenkarte gaben wir gleich dem ersten Taxifahrer, der wir auf der Strasse entdeckten.
Mit etwas Verhandlungsgeschick handelten wir für die Route 10 Manats aus, circa 5 Franken. Der Rezeptionist vom Hostel erzählte, dass kürzlich Touristen aus Europa 20 Euro gezahlt hätten, weil sie statt 20 Manats denselben Betrag in Euro gezahlt hatten. Wir bezogen unser Zimmer und genossen, mal Zeit für uns zu haben. Am nächsten Morgen organisierten wir Tickets für einen Nachtzug zurück nach Tiflis. Wir waren von den letzten Tagen erschöpft und konnten kaum Motivation aufbringen, die Stadt zu besuchen. Auch war das Wetter recht kalt und neblig. Im ersten Restaurant gingen wir gleich rein und suchten uns einen gemütlichen Sitzplatz. Die Betreiber waren uns etwas skeptisch gegenüber. Es war ein recht nobles, russisches Restaurant mit extrem vielen Details und übrigens auch dem sonderbarsten WC bisher. Ein grosser Raum mit Sofa und Lavabo, von welchem viele kleine Räume in die einzelnen Kabinen führten. Und jede Kabine hatte ein eigenes Thema, welche mit viel Liebe ins Detail ausgearbeitet wurden.
Bestellen konnte man über eine IPad und wir wählten alles aus, was wir probieren möchten. Die Preise waren so unglaublich günstig, dass wir keine Grenzen kannten. Und kurz danach wurden wir überhäuft mit unterschiedlichen russischen und aserbaidschanischen Spezialitäten. Es war herrlich und fast gratis.
Danach folgte ein gemütlicher Spaziergang durch Baku zurück zum Hostel. Der Besitzer des Hostel war begeistert von unserer Reise und wollte viele Fotos von uns machen. Er schenkte uns aserbaidschanischen Tee, welchen wir mit Menschen aus Armenien trinken sollten.
Als Millionärinnen im Nachtzug
Kurz danach stiegen wir in den Nachtzug nach Tiflis und teilten das Abteil mit einer älteren russischen Dame und einem Mann aus Baku. Und wir verliebten uns sofort in sie, und sie sich in uns. Während Michelle und ich in den oberen Betten entspannten, spielten die zwei ein Kartenspiel und der Mann schaute immer hoch und erklärte, wer am gewinnen sei. Auch konnten sie uns helfen, den Verzollungsbrief auszufüllen, den es nur auf türkisch und georgisch gab. Um 4 Uhr wurden wir von den Zöllnern geweckt und mussten 3 Stunden im Gang vor dem Abteil warten, was eine Qual war, wenn man dringend pinkeln musste. Wir werden in das Abteil der Zöllner geführt, mit einer schnellen Berührung vergewissern sie sich, dass wir keine Waffen im Rucksack haben. Die restliche Aufmerksamkeit galt dem Tattoo von Michelle. Über ihren ganzen Oberschenkel hat sie einen grossen, detaillierten Koi Fisch und dazu hatten sie viele neugierige Fragen. Zurück in unserem Abteil hatte der Mann aus Baku, der mit uns die Kabine teilte, eine Dokumentation gestartet über die Schweiz. Doch ganz wahr war sie nicht. Der Fokus lag in Genf, es wurde der Autosalon gefilmt und die Wohnungen im Millionenbereich direkt am Genfersee gezeigt. Er war ganz aufgeregt und schaute bei jedem Geldbetrag, der genannt wird, uns unglaublich an. Auch dass wir aus unseren Brünnen trinken können und die Dörfer teilweise schöner sind als die Städte, konnte er kaum glauben.
Armenien
In Tiflis angekommen, suchten wir direkt den Busbahnhof der Marschrutkas. Eine ältere Frau hilft uns den passenden Minibus zu finden, der nach Marneuli fährt. Von da nahmen wir ein Taxi zur Grenze nach Armenien. In einer langen Schlange lernten wir einen tauben Holländer kennen. Wir konnten keine Hotelreservation vorlegen, weswegen wir fast abgelehnt wurden, aber trotzdem konnten wir kurz danach passieren. Der Polizist beim Ausgang fragte uns, wie wir weiter kommen möchten und zeigte uns eine Kreuzung, die etwa 2km weg war. Von dort sollte es kein Problem sein, eine passende Mitfahrgelegenheit zu finden. Tatsächlich, der erste Lastwagenfahrer hielt an und wir dürfen hinten auf seiner Liege Platz nehmen. Er fuhr etwa 3 Minuten zu einer Tankstelle und meinte, wir sollen kurz auf ihn warten. Er kam mit drei Glaces zurück und wir diskutierten ein bisschen auf Russisch und auf Englisch. Doch schon bei der nächsten Kreuzung wurde er von der Polizei rausgenommen, die ihm erklärte, dass die Strasse für Lastwagen bis 19 Uhr gesperrt sei. Also bedankten und verabschiedeten wir uns. Wir marschierten der Strasse entlang, bis ein Taxi bremste. Wir lehnten ab, doch der Fahrer meinte, wir sollten trotzdem einsteigen. Er führte uns zur nächsten Kreuzung und liess uns wieder raus, da er in eine andere Richtung musste. Schon von weitem hörte man den Radio des nächsten Autos. Der Fahrer bremste und liess uns hinein. Er war sehr gesprächig und machte viele Witze, die wir nicht immer verstanden. Dann sagte er verschiedene Worte wie Notre Dame, France, Maria und Fire. Wir hatten keine Ahnung, dass in Paris die Kirche brannte und dachten, er sprach von Kerzen in der Kirche und antworten: «yes, yes very beautiful.» In Alaverdi liess er uns raus. Und hier geschah ein weiteres unvergessliches Erlebnis.
Alawerdi, versteckt in einer steilen Schlucht in einem stark zerklüfteten Gebirge im Norden Armeniens. Halbiert durch den wild reissenden Gebirgsfluss Debed. Dass diese Stadt, Geschichte geschrieben hat, wussten wir damals nicht, denn dort wurde 25% vom gesamten russischen Kupferbedarf abgebaut. Es war eine aufsteigende Bergbauregion mit vielen ausländische Arbeitern. Die Stadt wuchs und wuchs, deswegen bildeten sich neue Stadtteile auf den ungeschützten Bergplateaus. Während der Sovjetzeit wurde eine Gondel gebaut, die Menschen und Material in die Schlucht führten. Diese Gondel schaukelte immer noch über der Schlucht und rostete vor sich hin. Die ganze Produktion wurde nach mehreren Arbeitsrechtverletzungen vor 30 Jahren geschlossen und zurückgelassen und hinterliess einen stark vergifteten Fluss, verseuchter Boden und dreckige Luft. In einem schockierenden Pressebericht von «neues Deutschland» liest man aber, dass die Arbeit wieder aufgenommen wurde, man mit den gleichen inhumanen Arbeitsbedingungen weiterarbeitet, diesmal aber für eine Firma aus Hamburg.
Es regnete, die Luft war schlecht, vereinzelt sahen wir Menschen, doch die Häuser wirkten nicht bewohnt, auch nicht bewohnbar. Viele Fenster waren kaputt, was blieb sind dunkle Löcher, alles war braun und grau. Teilweise sahen wir farbige Kleider, die versuchten, im Regen zu trocknen. Wir wussten nicht, was wir in dieser Stadt machen sollten, am liebsten würden wir gleich weiterreisen.
Von einer Bekannten bekam Michelle vor unserer Reise ihr restliches Geld, welches sie von ihrer Armenienreise mit in die Schweiz nahm. Es waren umgerechnet etwa fünf Franken. In einem Restaurant direkt neben dem wilden Fluss bestellten wir zwei Portionen Pommes und etwas Brot, was direkt unser Geld verschlang. Neben uns waren drei Männer, welche an einem reichlich bedeckten Tisch sassen. Sie betranken sich und wurden immer lauter. Bis uns auch ein Shot Tschatscha serviert wurde und uns die Männer zu ihnen an den Tisch eingeladen haben. Sofort wurden unsere Teller gefüllt und mit Google Translate stellten sie sich als Atom, Edward und Safin vor. Da entstand die Geschichte, die ich bereits vor zwei Jahren verarbeitet und niedergeschrieben habe.
«Unsicher stehe ich neben einem Auto, das mich mit drei betrunkenen Männern in ein armenisches Gebirge führen soll. Dass neben meinem Rucksack ihre Waffen liegen, wusste ich nicht. Soll ich einsteigen? Alles in mir sagt Nein. Ich habe es trotzdem getan.»
Es regnete immernoch stark, als wir der Strasse entlang aus Alaverdi raus spazierten. Ein junger Mann in einem Winston Lieferwagen stoppte und bat an, uns mitzunehmen. Auf dem Hochplateau waren wir plötzlich in einer dicken Nebelwand. Es sah sehr interessant aus. Nach einer guten Stunde Fahrt, bremste er bei einem Restaurant und kaufte für uns ein. Es gab Blätterteigtaschen mit Käse und wir konnten sie kaum sauber essen, ohne das gesamte Auto voller Krümmel zu hinterlassen. Er erklärte, dass er weiter nach Aschtarak fuhr und wir baten ihn, uns dazwischen in Etschmiadsin rauszulassen.
Etschmiadsin gilt als religiöses Zentrum des armenischen Christentums. Dort ist der Sitz des Katholikos, des Oberhaupts der Armenischen Apostolischen Kirche. Gemäss der biblischen Erzählung wurde die Arche Noah nach der grossen Flut auf dem Berg Ararat gestrandet. Deswegen gilt die Region um Etschmiadsin als Ort von symbolischer Bedeutung für die Geschichte der Arche Noah. Der Ararat ist ein beeindruckender Berg, der sich im Osten der Türkei nahe der Grenze zu Armenien erhebt. Er ist mit einer Höhe von 5137 Metern der höchste Gipfel in der Region und gilt als heiliger Berg in verschiedenen Kulturen und Religionen. Doch wird um seine die territoriale Zugehörigkeit ständig gestritten.
Geografisch befindet er sich in der Türkei nahe der Grenze zu Armenien. Die Türkei beansprucht den Berg und betrachtet ihn als Teil ihres Staatsgebiets. Historisch gesehen hat der Berg Ararat jedoch eine enge Verbindung zu Armenien. Vor dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich im Jahr 1915 war die Region um den Berg Teil des historischen Armeniens. In der armenischen Kultur und im nationalen Bewusstsein gilt der Berg Ararat immer noch als Symbol für die armenische Identität und das historische Erbe.
Von Etschmiadsin nahmen wir eine Marschrutka nach Yerewan und sofort begann es stark zu regnen, so dass sich jede Strasse flutete. Hätten wir nur eine Arche dabei. In einem kleinen Restaurant bedienten wir uns an einem grossen Buffet und warteten ab, bis der Regen nachliess. Danach liefen wir zu Kashayar und seinem Bruder. Die zwei Iraner sind mit 18 und 17 Jahren aus dem Iran geflüchtet und warten jetzt in Armenien auf ein Visa nach Deutschland. Ein zurück gab es für sie nicht, denn sie haben den Militärdienst verweigert. Über ein Jahr warteten sie bereits und verbringen die Zeit mit intensivem Deutschlernen. Übrigens, an Weihnachten 2019 erreichte mich eine Weihnachtskarte von Kashayar – aus Hamburg. Wir spielten zusammen verschiedene Kartenspiele, während ein grosser Topf Safranreis auf dem Herd brutzelte. Ich konnte kaum abwarten, wieder diesen köstlichen Reis mit Granatapfel und Reiskruste zu essen. Seit meiner Iranreise hatte ich das Gericht immer wieder versucht zu kochen, doch leider ohne Erfolg.
Das verlassene Ferienparadies
Am nächsten Tag zeigt uns Kashayar die Stadt und am Nachmittag nahmen wir eine Marschrutka nach Sevan. Neben mir sass ein ukrainisches Paar, das in Frankreich wohnte. Mit ihnen und dem Marschrutkafahrer besuchten wir den bekannten See und suchten ein Hostel, bei dem wir übernachten können. Die Stadt wirkte ausgestorben.
Wir suchten einen Geldautomat und einen Supermarkt. Unser sehnten uns nach Ruhe und wollten so schnell wie möglich zurück in die Unterkunft, um zu entspannend. Doch wir hatten das Gefühl, dass ein junger Mann uns seit dem Supermarkt verfolgte. Rasch zogen wir die Türe hinter uns zu und schlossen sie ab. Doch unser Bett war direkt unter einem grossen Fenster im Erdgeschoss. Und wir sahen den jungen Mann mit seinem Gesicht an das Fenster gepresst als wir von einem kurzen Nap aufwachten. Das war ein grosser Schock, deswegen nahmen wir unsere Sachen und verbrachten die restliche Zeit in der öffentlichen Küche ohne Fenster. Bis am Abend spät hörten wir das Klopfen am Fenster. Kurz danach kam der Besitzer des Hostels und ermahnte uns, dass Besuch nicht toleriert wird. Wir versicherten ihm, dass dieser Besuch auch nicht erwünscht sei. Um Mitternacht, als wir bereits geschlafen haben, weckte uns das Klopfen am Fenster wieder. Ich hatte keine Geduld mehr und öffnete das Fenster. Dort stand der junge Mann mit einem Freund und streckte uns eine Flasche Wein entgegen und fragte, ob wir mit ihnen Zeit verbringen werden. Wir lehnten dankend ab und schlossen das Fenster wieder. Immer wieder in der Nacht hörte ich das Klopfen. Am nächsten Morgen früh öffneten wir die Türe einen Spalt und rannten nach draussen. Er war weg, aber die Weinflasche stand auf unserem Fensterbank.
Wir marschierten zurück zum See und wanderten der Küste entlang zu einem grossen Kloster. Die Region am Sevan See ist ein beliebter Ferienort. Doch alles was wir sahen, war ein Ferienort, welcher man vor Jahren verlassen und der Natur überlassen hat. Alles war zerstörrt und gesamte Häuserreihen standen im Wasser. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass in ein paar Monate dieser Ort für Entspannung stehen sollte. Das Kloster war nicht halb so spannend wie der Weg dorthin. Wir wollten zurück zum Hostel und warteten an der Strasse, bis ein Auto uns mitnahm. Ein Mann stoppte neben uns und meinte, dass er uns bereits gesehen habe. Er wohnte direkt neben dem Hostel und bat an uns zurückzufahren. Rasch griffen wir den Rucksack und die Flasche Wein, die immernoch auf dem Fenstersims stand und gingen zurück zur Bushaltestelle und fuhren nach Yerewan. Von da nahmen wir ein Taxi nach Garni.
Garni ist ein kleines Dorf in Armenien, das für seine historische Stätte, den Garni-Tempel, bekannt ist. Das Dorf hat eine lange Geschichte, die bis in die vorchristliche Zeit zurückreicht. Es war einst eine wichtige Siedlung im Königreich Urartu und später unter der Herrschaft des Königreichs Armenien. Das Highlight von Garni ist der Garni-Tempel, der als einziger erhalten gebliebener hellenistischer Tempel in Armenien gilt.
Ein weiteres Highlight in Garni ist das Garni-Gorge, eine beeindruckende Schlucht, die sich in der Nähe des Dorfes erstreckt. Hier kann man atemberaubende Felsformationen, beeindruckende Basaltformationen und den tosenden Azat-Fluss erleben.
Wir besuchten den Tempel und wanderten gemütlich durch die Schlucht. Zurück in einem kleinen Hostel nutzten wir die Küche und waren froh, mit niemandem Sprechen zu müssen. Mit einem Linienbus ging es dann zurück nach Yerewan und wir warteten die letzten Stunden ab, bevor wir zurück in die Schweiz fliegen. Bei einem grossen Markt lernten wir Muhammed kennen. Ein Medizinstudent aus dem kurdischen Irak, welcher seit paar Jahren in Armenien war. Zusammen besuchten wir die bekannte Kirche. Noch am selben Tag flogen wir nach Moskau und schlossen so unsere abenteuerliche Reise im Kaukasus ab.
Unsere Reise durch den Kaukasus war eine unvergessliche und bereichernde Erfahrung. Von atemberaubenden Landschaften bis hin zu faszinierenden kulturellen Begegnungen haben wir eine Vielzahl von unvergesslichen Momenten erlebt. Wir haben die Gastfreundschaft der Menschen vor Ort in vollen Zügen erlebt. Jeder Fahrer, der uns mitgenommen hat, hat uns nicht nur an unser Ziel gebracht, sondern auch spannende Geschichten und Einblicke in das Leben und die Kultur der verschiedenen Länder des Kaukasus geteilt.
Die Landschaften, die wir auf unserer Reise erlebt haben, waren von atemberaubender Schönheit. Von majestätischen Bergen und tiefen Schluchten bis hin zu malerischen Seen und üppigen grünen Tälern. Jedes Land im Kaukasus hat seine eigene reiche Geschichte und einzigartige kulturelle Identität, die wir mit offenen Armen entdeckt haben. Natürlich gab es auch Herausforderungen während unserer Reise. Die Kommunikation in einer Vielzahl von Sprachen stellte manchmal eine Hürde dar, aber wir haben gelernt, dass Lächeln, Gesten und eine positive Einstellung universell verstanden werden. Wir haben auch gelernt, flexibel zu sein und uns an verschiedene Situationen anzupassen, was Teil des Abenteuers war.
Diese Reise hat uns gezeigt, dass das Reisen per Autostopp eine einzigartige Möglichkeit bietet, in das wahre Leben und die Kulturen einer Region einzutauchen. Wir empfehlen allen, die Abenteuerlust verspüren, den Kaukasus auf diese Weise zu erkunden.