of Ukraine

1200 km  |  Kiew nach Odessa

Die heisse Luft flirrte vor meinen Augen. Ich schaute auf meine Karte und atmete tief ein. Vor mir eine staubige Piste, die sich ins Nirgendwo zu erstrecken schien, umgeben von einer endlosen Wüstenlandschaft.

Ich lenkte mein Velo um ausgetrocknete Schlangen. Die Sonne brannte heiss auf meine Haut und ich spürte, wie der Schweiss in Strömen herunterlief. Der Sand wurde immer weicher und schon bald war es unmöglich mein vollbepacktes Velo unter Kontrolle zu halten. Ich spürte den heissen Sand unter meinen Füssen, als ich mit dem Schieben begann. Ich war die letzten Wochen über tausend Kilometer durch die Ukraine gefahren, 30 Kilometer lagen noch vor mir. 30 Kilometer Piste bis zum Ende der Halbinsel, bis zur Küste vom Schwarzen Meer. Doch es schien unerreichbar. Der Gedanke, dass ich, wenn ich die Fähre auf der äussersten Spitze der Halbinsel nicht erreichte, über 500 Kilometer zurückfahren musste, quälte mich. Denn dazu fehlte mir die Zeit. Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu und ich bereitete mich vor, in dieser Wüstenlandschaft übernachten zu müssen.

Hätte ich in diesem Moment aufgeben können, ich hätte es getan.

Ukraine, 31. Juli 2019, 17:24 – Kinburnskaya

Pause an einem schattigen Platz, kurz vor den Sandpisten Richtung Schwarzes Meer

2 Stunden später stand ich überglücklich, knietief im Schwarzen Meer und schaute der Sonne beim Untergehen zu, in meinem Rücken war mein Zelt auf einer Sandfläche. Am Horizont sah ich die Lichter von Odessa funkeln. Dort war mein endgültiges Ziel und jetzt stand nichts mehr im Weg. Für mich war es immer noch unglaublich, wie ich allein mit eigener Kraft auf dem Velo die Ukraine durchquerte. Naja, bis auf die letzten 30 Kilometer. Denn da brauchte ich Unterstützung einer UAZ-452 Buchanka und 3 Männern. Irgendwo umgeben von Sand sah ich plötzlich dieser sowjetische Lieferwagen in rostiger blauer Farbe auf mich zu kommen. Ich nahm an, hier gab es nicht viele vollbepackte Velofahrerinnen, jedenfalls las ich das aus ihren überraschten Blicken. «Море», sagte ich, was auf Russisch Meer bedeutet, und sofort stieg einer aus und packte mit Schwung mein Velo auf die Ladefläche des Wagens und krabbelte selbst darauf. So konnte ich in der Führerkabine Platz nehmen und der Fahrer drückte mir ein Bier in die Hand. Wir fuhren wortlos 2 Stunden über endlose Sandstrassen. Diese Strecke wäre mit dem Velo unmöglich gewesen. Direkt an der Küste luden sie mein Velo ab und fuhren wieder zurück. «спасибо» wiederholte ich vor mir hin, selbst als sie schon weg waren.

Das unglaubliche Gefühl, das Schwarze Meer erreicht zu haben.

Die 50km lange Halbinsel Kinburnskaya liegt im Süden der Ukraine nahe der Krim an der Mündung des Flusses Dnepr ins Schwarze Meer. Sie ist bekannt durch ihre reichhaltige Flora und Fauna und ist bedeckt von Dünen und Pinienwälder. Vor dem Krieg immerhin, denn dieser Teil der Ukraine hatten die Russische Truppen gleich zu Beginn der Invasion im Frühjahr 2022 erobert. Das ist nicht die einzige Region, die seit meiner Durchreise zerstört wurde. 2019, als ich die Reise geplant habe, war die Ukraine noch nicht jeden Tag in den Medien und ich bin so dankbar, durfte ich dieses Land noch vor dem Krieg kennenlernen.

Hier sieht man meine Route, jeder Punkt steht für eine Übernachtung.

Warum die Ukraine?

Nach einem halben Jahr Russisch A1 Kurse in Basel wollte ich meine Kenntnisse auf die Probe setzen und plante eine Reise mit dem Velo durch die Ukraine. Denn Russland und Weissrussland hatte ich bereits bei einer früheren Reise besucht. Es war meine erste grössere Veloreise, die ich auf eigene Faust plane und allein durchführe. Ohne viel Nachzudenken und mir Sorgen zu machen, buchte ich einen Flug nach Kiev und einen von Odessa zurück. 2 Wochen hatte ich Zeit für 1200 Kilometer.

Meine Schwester half mir am Flughafen Zürich mein Velo zu verpacken und mein Gepäck aufzugeben. So kurz vor der Abreise wäre es falsch zu behaupten, dass ich nicht auch etwas nervös war. Ein Mann fragte mich, wo es zum Gate nach Kiev geht. Ich verabschiedete mich von meiner Schwester und schloss mich dem Mann an, der sich als Igor vorstellte.

Auch in Kiev hatte er mich wieder gefunden, als ich etwas verloren mit vielen Teilen, mein Velo zusammensetzte. Er half mir Geld zu tauschen und schlug vor, mich in die Mitte der Stadt zu fahren. Das nahm ich dankend an und lernte seine Familie, die ihn am Flughafen abholte, kennen. Eingeklemmt zwischen seinem Sohn und meinem Velo düsten wir über die stark befahrene Darnytskyi Brücke und ich war dankbar, diese nicht mit dem Velo überqueren zu müssen.

Mit Igors Handynummer für den Notfall im Gepäck, verabschiedete ich mich und startete die Stadt auf eigene Faust zu durchqueren. In einem kleinen Supermarkt deckte ich mich mit Früchten und Nüssen ein. An der Kasse stellte ich fest, dass mein Portemonnaie nicht mehr in meiner Hand war. Ich hatte noch keine Zeit, meine Karten und mein Geld an unterschiedlichen Orten zu verstecken. Meine ID, Führerausweis, Bankkarten, Hausschlüssel, 200 Euro und etwa 5000 Hrywnja in Bar waren auf einen Schlag weg. Wie dumm konnte ich nur sein, nicht besser aufgepasst zu haben. In Panik wirbelte ich durch den Laden und versuchte meinen Weg durch die Regale zu rekonstruieren. Ein junger Mann sprach mich auf Russisch an und zeigte mit den Händen ein kleines Viereck. Ich konnte nur Да rufen und er begleitete mich zur Kasse, bei der er mein Portemonnaie abgegeben hatte. Ich rannte zurück zum Velo und deckte ihn mit Schweizer Schokolade ein, die ich immer dabei habe, wenn ich verreise.

Erst später hatte ich erfahren, dass 300 Euro fast den durchschnittlichen Monatslohn in der Ukraine sind. Da hatte ich Glück. Auf direktem Weg fuhr ich auf einer 3-spurigen Strasse zu Nikolaj. Er hatte mir angeboten, die ersten paar Nächte in Kiew bei ihm zu verbringen. Dieses Angebot nahm ich dankend an und verbrachte den ersten Abend Shisha rauchend mit Kola und seinem Kumpel Vadim auf dem Balkon im 16. Stock.

Auch er war es, der mir im März 2022 geschrieben hat, dass seine Freundin auf der Flucht in die Schweiz ist und ob ich sie im Gegenzug für ein paar Tage aufnehmen könnte. Über ein Jahr wohnte sie bei uns und ist so ein fester Teil unserer Familie geworden.

Das konnte damals aber niemand ahnen. Nach paar Tagen verabschiedete ich mich und wünschte Kola und seinem Kumpel Vadim ein grossartiges Leben.

Kiew ist eine riesige Stadt. Ich fuhr lange durch verschiedene Vororte auf mehrspurigen Strassen und war froh, endlich etwas Ruhe ausserhalb zu finden. Ein alter Mann, der in seinem Garten arbeitete, sprach mich an. Und ich sagte den Satz zum ersten Mal, den ich in den nächsten 2 Wochen ständig wiederholen werde: «я езжу на велосипеде из Киева в Одессу», also, ich fahre mit dem Velo von Kiew nach Odessa. Sichtlich begeistert zeigte er mir mit seinen Armen Richtung Odessa. Ich war aber den ersten Teil nicht auf direktem Weg unterwegs, sondern folgte bis Krementschuk dem Fluss Dnepr und dann der Küste entlang zurück nach Odessa.

Das Problem mit dem Wasser

Mein Weg führte mich über viele Wald- und Feldwege und tausend Schlaglöcher immer weiter Richtung Süden. Das Klima veränderte sich schnell, es wurde immer trockener und karger. Ich merkte, dass es unterwegs weder Restaurants noch Hotels gibt und es schwierig ist, minimale körperliche Hygiene aufrecht zu halten. Tage verstrichen ohne Dusche und ich wurde immer dreckiger. Auf meiner Haut entstand eine Paste aus Sonnencreme, Staub und Schweiss. Umso stärker wuchs das Verlangen, sich im Fluss abzukühlen und zu waschen. Doch der Dnepr ist der am stärksten verschmutzte Fluss in Europa. Viele Industrieabfälle von Weissrussland und von der Ukraine werden durch den Fluss ins Schwarze Meer gespült. Ebenfalls der Fluss Prypiat, der durch Tschernobyl fliesst, mundet darin. Man kann sich vorstellen, dass dies nicht der ideale Cocktail ist, um sich zu waschen und erst recht nicht, darin sein Geschirr zu putzen. Mir wurde schnell klar, Wasser, welches ich konsumieren möchte, muss gekauft sein. Doch da tauchte ein weiteres Problem auf. Zur heissesten Zeit des Tages erreichte die Temperatur über 40° C. Durch die Anstrengung des Velofahrens hatte ich einen unglaublich hohen Wasserkonsum. Allein zum Trinken verschlang ich jeden Tag fast 6 Liter Wasser. Am Abend brauchte ich Wasser, um zu kochen. Sich da den Luxus zu nehmen, Wasser zu transportieren, nur um sich zu waschen, konnte ich mir nicht leisten. Zu schwer war mein Velo bereits ohne diese zusätzliche Last. Teilweise war ich 60 km lang auf derselben Strasse, ohne eine Ortschaft zu kreuzen. Ich musste meinen Wasserkonsum genau berechnen und einteilen. Mir blieb nichts anderes übrig, als das restliche Pasta Wasser zu trinken, die Zahnbürste auszusaugen, um sie von der Zahnpasta zu befreien und mich regelmässig mit Sand abzureiben, um die Sonnencreme zu lösen. Es waren spannende Gedanken, die einem in solchen Momenten einholen.

Trotz allem, entschied ich mich, einmal meine Haare im Dnepr zu waschen. An diesem Tag war es über 40° C und meinen Kopf brannte vor Hitze und vom Schweiss. Es war ein schwieriges Unterfangen, gelohnt hat es sich trotzdem.

Auch auf meinen Beinen hatte sich innert weniger Tage eine dicke Schmutzschicht entwickelt. Am Anfang hatte ich mich geschämt, als ich das erste Mal durch eine grössere Ortschaft gefahren bin, um dort erneut einzukaufen. Umso erschreckender war es festzustellen, dass ich unter den Menschen durch meinen Dreck nicht auffalle. Denn viele Bewohnende dieser Region arbeiten in der Landwirtschaft und waren mindestens genau so dreckig wie ich. Das hat gereicht, um mir meine privilegierte Lage bewusst zu werden und nicht von meiner Dusche zu träumen. Also massierte ich mir jeden Morgen aufs Neue meine Haut mit einer neuen Schicht Sonnencreme auf die letzte Schicht Staub ein.

Da war ich wirklich am Ende. Ich hatte den ganzen Tag auf einer geraden Hauptstrasse ohne Schatten verbracht. Die Temperatur erreichte 45° C und das Wasser ging mir in der Hälfte aus. Das war auch der Tag, an dem ich den Kachowka-Staudamm überquert habe, der letzte Woche gebrochen ist und somit die ganze Region unter Wasser setzte.

Das Ausmass vom Bruch des Kachowka-Staudamm. Es schmerzt, die Fotos zu sehen und zurück zu blicken, welche Regionen wohl für immer zerstört sind.

Das wäre kein Problem gewesen, wenn ich nicht in der Hälfte meiner Route wegen einem Schlagloch hingefallen war und mir meinen Knöchel aufgeschlagen habe. Mit meinem letzten Trinkwasser reinigte ich mir die staubige Wunde und mir wurde schnell klar, dass ich sie gut abdecken muss, um eine Blutvergiftung zu verhindern. Jeden Tag klebte ich mir einen neuen Verband auf die Wunde.

Kurz danach lernte ich Vladimir, Liubov und Lada aus Krywyj Rih kennen. Eine junge Familie, die auch auf dem Velo unterwegs war. Sie haben mich eingeladen, bei ihnen zu essen und zu schlafen, meine Kleider zu waschen und alle Akkus zu laden. Nach 4 Tagen draussen war das ein sehr verlockendes Angebot. Mein Smartphone hatte noch knappe 10%, der Rest der Geräte waren tot. Auch wenn mich dies nicht stören würde, war es doch ein Sicherheitsrisiko, welches ich nicht eingehen möchte. Nur blöd, hatte ich zu Hause an Ladekabel gespart. Ich musste in der Nacht vier Mal aufstehen, um ein neues Gerät an das einzige Kabel anzuschliessen. Aber so hatte ich am Morgen eine volle Powerbank, Kamera, GoPro, Smartphone und Garmin. Es war ein spannender Einblick in eine ukrainische Familie, die selbst mit kleinem Budget schon viel von Europa gesehen hat. Mit Autostop sind sie sogar durch die Schweiz gereist. Liubov hat russische Wurzeln und erzählt mir einiges von ihrer Heimat. Lada, das 8-jährige Mädchen lernte mir neue russische Wörter und ich brachte ihr Englisch bei. Vladimir schenkte mir eine grosse Wassermelone, die fast keinen Platz in den Taschen fand, aber später ein genüsslicher Snack war. Von Liubov erhielt ich einen ukrainischen Engel. Die Mutter übersetzte, er soll mich vor Zärtlichkeit beschützen. Ich nahm an, sie meinte, er soll mich zärtlich beschützen.

Schlagloch Slalom

Ich kurvte über mehrspurige Strassen mit hunderten Lastwagen und Autos entlang den Schlaglöchern. Der Zustand der Strasse war erschreckend. Teilweise erstreckten sich Schlaglöcher über die ganze Spur. Oft muss ich abbremsen, um solche Löcher zu meistern. Das brauchte viel Energie, und statt einem Schnitt vom 20km/h, schaffe ich knapp 12km/h. Einmal war ich fast 30 Kilometer auf einer rauen Steinstrasse unterwegs, die mich so durchgeschüttelt hatte, dass ich den letzten Abschnitt laufen musste. Häufig fuhr ich auch auf Betonplatten, die man nebeneinander aufgereiht hat. Auf jeden Fall brauchte jeder Kilometer viel mehr Zeit und Energie als gedacht.

Das brachte meine ganze Planung durcheinander. Statt nur die paar Stunden, die ich für die geplanten 100 bis 120 Kilometer pro Tag vornahm, verbrachte ich häufig den ganzen Tag auf der Strasse. Um die heisseste Zeit zu umgehen, startete ich meist um 4 Uhr morgens. Packte rasch mein Zelt zusammen und düste in den Sonnenaufgang und schaute der Ukraine beim Erwachen zu. Nach circa 30 Kilometer plante ich meine erste Pause und es gab Frühstück. Das Ziel war, dass ich gegen Mitte des Nachmittages 80% des Tagesziels erreicht habe, so dass ich mir in der heissesten Zeit eine längere Pause gönnen kann. Sobald die Sonne weg war, fuhr ich die letzten Kilometer und suchte mir im Halbdunkeln ein ruhiges verstecktes Örtchen für mein Zelt.

Der Sonne gab es kein Entkommen, am Nachmittag war es fast jeden Tag über 40° C. Es war schwierig auf der Strasse ein schattiges Plätzchen zu finden, denn die meisten Bäumen waren am Stamm von Sträuchern überwachsen. Um mich vor der Sonne zu schützen, fuhr ich nur noch mit langer Hose und einem Pullover. So konnte ich auch verhindern, ständig meine klebrige Haut zu spüren.

Cherson – Vor der Invasion

Den ganzen Tag fuhr ich entlang der kleinen ukrainischen Wüste im Süden des Landes als ich plötzlich eine Nachricht von Andrii erhalte. Er wollte wissen, wo ich bin und dass er mich in Cherson einladen möchte. Ich war etwa 60km von Cherson entfernt und sagte gerne zu. Er schrieb nochmals: Wine or beer? Selten hatte ich mich so sehr auf ein kaltes Bier gefreut. Ich war schon fast sicher, dass ich die Stadt nicht besuchen werde. Denn die Strasse dorthin war so dicht befahren, und wenn ich über die Halbinsel fahren möchte, fahre ich die gleiche Strecke wieder zurück. Aber das kalte Bier war Grund genug, die lange Antoniwka Brücke über den Dnepr zu befahren. Übrigens diese Brücke, über die häufig in den Medien berichtet wurde und auch durch den Krieg zerstört wurde.

Links: Blick von der Brücke von der rechten Seite. Rechts: So sieht die Brücke heute aus. Bildquelle

Ich lernte Andrii und seine Freundin Daria kennen. Beiden waren anfangs 30 und arbeiteten in derselben Firma, nur hat Andrii eine höhere Position, weshalb er es sich leisten konnte, später bei der Arbeit zu erscheinen. Und während er mit mir gemütlich frühstückte, war seine Freundin bereits am Arbeiten. Er erzählte mir vom Paris – Brest – Paris Rennen. Eine Strecke von 1230 km, die innert kürzester Zeit zurückgelegt werden muss. Nur wenige Teilnehmende von jedem Land sind zugelassen, und er sei einer davon. Zur Vorbereitung muss man kleinere Brevets bestehen, in folgenden Distanzen: 200, 300, 400, 600 und 1000 km. Lachend erzählte er, wenn er auf einer Strecke von 1000km zu den schnellsten Ukrainern gehört und das auf ukrainischen Strassen, dann sollte es in Frankreich leicht sein. Und da kann ich ihm nur Recht geben.

Wieder ein Nachtrag aus der Zukunft. Andrii hat das Rennen erfolgreich gemeistert und die Ukraine auf den 5. Platz gebracht. Daria und Andrii haben geheiratet und sind seit Oktober 21 Eltern. Wir haben regelmässig Kontakt und vor 3 Monaten hat er mir geschrieben, dass er ab sofort an die Front muss. Daria ist mit dem Kind durch ganz Ukraine geflüchtet und wohnt momentan in Kiew. 

Von Cherson pedalte ich wieder zurück über die Brücke und bog zur Halbinsel Kinburnskaya ab. Es ging 100 Kilometer durch das Naturschutzgebiet entlang der seltenen roten Seen, bis auch die letzte Strasse aufhörte und das Pistenmeer begann und ich entsprechend stecken blieb. Durch die Rettungsaktion der 3 Männern und ihrer Buchanka verlor ich meine Regenjacke und somit auch meinen Pfefferspray. Ich entschied mich immer gegen dieses Hilfsmittel, weil es doch selten legal ist und ich nicht an einer Grenze deswegen Probleme möchte. Aber diesmal hatte ich auf einer Sitzbank in einem Museum in Kiew einen Spray gefunden. Ich dachte mir, dies könnte ein Zeichen sein und packte ihn dankbar ein. Dass er jetzt auf genauso wundersame Weise wieder verschwand, war mir auch recht. Nur die Regenjacke musste ich ersetzen. Denn in zwei Tagen sollte ein grosser Sturm aufkommen. Vorher gönnte ich mir nach all den Strapazen einen Ruhetag am Meer. Ich spazierte durch das glasklare Wasser, beobachtete kleine Quallen und inspizierte das rostige Boot, das am äussersten Spitz im Sand steckt. Es war spannend zu sehen, wie das gelbliche Wasser vom Dnepr auf das glasklare Wasser vom Meer stosst. Die Halbinsel erstreckt sich weit in das Schwarze Meer und ist teils nur wenige Meter breit.

Ebenfalls musste ich erstaunlich grosse, krebsartige Spinnen von meinem Zelt fernhalten, was einiges an Überwindung kostete. Doch die Nacht an einem solch verlassenen Ort war unglaublich. Am nächsten Morgen ging es mit der ersten Fähre zurück aufs Festland. Speziell war, dass sie nicht bis zum Land fuhr, sondern etwa 100 Meter vorher den Anker warf und ich das Velo durch das knietiefe Wasser an Land tragen musste. Schon von weitem sah ich die dunklen Wolken in der Richtung von Odessa. Auch als ich auf einer hohen, bewachsenen Düne mein Zelt ein letztes Mal aufstellte, sah man Blitze am Horizont. Nick, auch einer der mit bei der Vorbereitung geholfen hatte und in Odessa wohnte, meldete sich, ich soll vorsichtig sein. Unsicher, was mich in der Nacht erwarten würde, liess ich mich bereits um 3 Uhr morgens vom Wecker wecken, um sicher im Trockenen zusammenzupacken. Unterwegs kaufte ich mir in einem Anglershop eine viel zu grosse Pelerine aus Plastik. Mit Duct Tape klebte ich sie enger, dass mich kein riesiges, im Wind flatterndes Segel bremste. Trotz allem erreichte ich klitschnass die Altstadt von Odessa. Die meisten Strassen waren geflutet und es war echt schwierig, einen Weg zu finden. Und doch genoss ich es, meine verbrannte Haut durch den Regen zu kühlen und so meinen Triumph zu feiern, die Ukraine, mit eigener Kraft auf dem Velo allein durchquert zu haben. Mit dem Velo und einer Buchanka.

Das Video zu gesamten Reise:

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